Krieg und neuer AnfangFilmische Zeitzeugenberichte über den Krieg und die Zeit danach

Rückkehr aus Saipan

Herr Masao Arime

Geburtsjahr:1931

Geburtsort:Saipan

Leben in Saipan

 Ich wurde am 6. August 1931 auf Saipan geboren, während der japanischen Besetzungszeit. Meine Familie bestand aus meinem Vater, meiner Mutter, zwei älteren Schwestern, mir, drei jüngeren Schwestern und unserem jüngsten Bruder. Mein Vater betrieb Landwirtschaft und war ein so  guter Bauer, dass ihm die Leitung der Landwirtschaftsorganisation übertragen wurde. In dieser Position war er auch gleichzeitig der Leiter der örtlichen Zivilverteidigung und hatte die Aufgabe, militärische Befehle an die örtlichen Bauern zu übermitteln.
 Die Chacha National School die ich besuchte, hatte keinen Hõanden. (Kaiserschrein) Stattdessen  wurden die Porträts des Kaisers und der Kaiserin, zusammen mit dem kaiserlichen Erziehungsedikt im Büro des Schulleiters aufgestellt. Immer wenn es Zeremonien gab, wie an den drei großen Nationalfeiertagen, nahm der stellvertretende Schulleiter ehrfurchtsvoll die Kiste mit dem Kaiserlichen Edikt vom Altar herunter. Wir Schüler standen still, die Köpfe schweigend gesenkt, während der Direktor uns den Inhalt vorlas. So war das damals. Als wir in die 6. Klasse kamen, das erste Jahr nach der Grundschule, stand das Werfen vom kurzen Stöcken auf dem Lehrplan. Diese 30 cm langen Stöcke wurden wie Handgranaten geworfen, als Teil unserer militärischer Ausbildung. Das Tragen von Strohsäcken war auch eine Disziplin bei unserem Sportfest. Wir hatten unaufhörlich Leistungskontrollen für die vielen Übungen. Für das Training mit Bambusspeeren, stachen wir auf Strohpuppen ein, auf denen die Namen der Führer der USA und Großbritanniens standen. Wir übten auch militärisches Kriechen. Alle diese Übungen wurden mit größter Ernsthaftigkeit trainiert.

Luftangriffe auf Saipan

 Während des Luftangriffs im Februar 1944 hielt ich die über uns fliegenden US-Grumman-Flugzeuge fälschlicherweise für japanische Kampfflugzeuge und dachte, sie absolvierten an diesem Tag eine sehr beeindruckende realistische Trainingseinheit. Doch ehe ich mich versah, ertönten die Luftangriffssirenen. Bei dem Angriff brannte die Stadt Garapan bis auf die Grundmauern ab. Es dauerte dann noch vier Monate, bis die US-Armee in Saipan landete. Danach nahmen die Kämpfe zu und das Blatt wendete sich gegen uns. Trotz allem behauptete das japanische Militär, dass es die Schlacht gewinnen wird. Als Leiter des örtlichen Zivilschutzes zog mein Vater seine Uniform an und verließ das Haus. Er hatte nicht nur seiner Familie gegenüber eine Verpflichtung. Bevor er ging, erzählte er uns von einer natürlichen Höhle unter einem nahegelegenen Schrein, der als Evakuierungsort für unsere Nachbarschaft vorgesehen war und sagte uns, wir sollten dort Schutz suchen. Ich lud unsere Sachen auf den Ochsenkarren, und verstaute alle Wertsachen in den Luftschutzbunker, den wir vor unserem Haus gegraben hatten. Als ältester Sohn war es meine Aufgabe den Wagen zu ziehen. Meine Mutter führte uns bei der Evakuierung an.
 Von da an begannen die Kampfhandlungen erst richtig und  es gab den Befehl aus Chacha zu evakuieren. Zu diesem Zeitpunkt war mein Vater von seinen Aufgaben im Zivilschutz entbunden worden und evakuierte mit uns zusammen. Er trug zwei Handgranaten bei sich. Eine war dafür auf Feinde geworfen zu werden, die zweite war für unseren Selbstmord bestimmt. Außerdem trug er immer drei Stangen Dynamit bei sich. Das war Standard im Krieg.

Banzai Klippe

 Es gibt einen Ort auf Saipan, der als „Banzai-Klippe“ bekannt ist. Uns war gelehrt worden, dass es eine Schande ist vom Feind gefangen genommen zu werden. Viele Leute opferten ihr Leben, indem sie: „Tennoheika Banzai“ (Lang lebe der Kaiser), riefen und von der Klippe sprangen. Allerdings überlebten die meisten von denjenigen, die bei Flut ins Meer sprangen. Die Schüler und Schülerinnen der Mädchen- und Berufsschulen waren im Langstreckenschwimmen trainiert, was auch schwimmen im Meer beinhaltete. Deshalb ertranken sie nicht so einfach. Manchmal banden sich ganze Familien aneinander und sprangen gemeinsam. So konnte niemand fliehen, selbst wenn er es gewollt hätte und alle starben zusammen. Es gab auch Familien wo der Vater alle einzeln ins Meer warf, wer schwimmen konnte überlebte dabei. Ich sah selber, wie drei Schüler aus der Volksschule, der Mittelschule und der Mädchenschule überlebten und die Klippe wieder hinauf kletterten.
 Die US-Truppen und ihre Panzer kamen so nah, dass wir sie sehen konnten. Wir wurden ununterbrochen angegriffen. Wenn sie die Küste angriffen, rannten wir in die Berge und wenn sie die Berge angriffen, rannten wir an die Küste. So flohen wir hin und her, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, wie oder wohin wir rannten. Mein Vater führte die Flüchtlingsgruppe an und jedesmal wenn etwas passierte rief er zum Selbstmord auf. Meine jüngere Schwester weigerte sich aus Angst zu sterben und meine Mutter erwiderte jedes Mal, dass er sie nicht gegen ihren Willen zwingen kann. Sie sagte, dass sie nur sterben würde wenn sie sich von all ihren Kindern verabschiedet hat. So konnte wir einen Selbstmord immer wieder vermeiden. Eines Tages, mein Vater lief am Ende der Gruppe, sagte er, dass er etwas zu erledigen hätte und verlies uns. Er ist nie wieder zurückgekommen. Als unser Anführer forderte uns jeden Tag auf Selbstmord zu verüben. Er konnte nicht sterben und auch seine Kinder nicht gegen ihren Willen dazu zwingen. Ich denke, dass er unter diesem intensiven inneren Konflikt gelitten hat.

Gefangennahme Nahe der Küste

 Wir haben uns in dem Dschungel neben der Banzai Klippe versteckt. Das war die letzte Station auf unserer Flucht. Der Feind war in der Nähe, deshalb konnten wir nicht heraus oder übers Meer fliehen. Da war ein Haus in der Nähe, wir entschieden dort hinzugehen, Wasser zu trinken und uns dann umzubringen. In dem Haus fanden wir nicht nur Wasser, sondern auch Soursop Früchte. Wir hatten uns gerade erst hingesetzt, als wir von US-Soldaten umzingelt und gefangen genommen wurden. Die Soldaten waren so ganz anders, als uns gesagt worden war. Weil mein jüngerer Bruder verletzt war, wickelten sie ihn in eine Decke ein, desinfizierten seine Wunden und leisteten erste Hilfe. Nur zwei Mitglieder meiner Familie waren unverletzt. Ich selbst hatte eine Verbrennung am Bauch von einem Kanonenschrapnell. Mein jüngerer Bruder starb im Gefangenenlager an Tetanus, verursacht durch einen Granatsplitter, der ihm während unserer Evakuierung das Knie durchbohrte.
 Sie nannten unseren Flüchtlingstrupp „Gruppe 13“. Insgesamt gab es 15 Gefangenengruppen. Das bedeutete, dass wir mit die Letzten waren, die gefangen genommen wurden. Das Gefangenenlager wurde errichtet, als Gruppe 1 gefangen genommen wurde. Als wir dort eintrafen waren wir die dreizehnte Gruppe. Wenn neue Gefangene im Lager ankamen, versammelten sich Hunderte von Menschen um das Tor. Sie suchten nach ihren Verwandten und Geschwistern. Wir waren in langen Häusern aus Holz mit verzinkten Eisendächern untergebracht. Es gab einige Japaner, die für das Kochen zuständig waren. Wir stellten uns alle mit Schüsseln in der Hand in einer Reihe an, wenn sie zur Essenszeit das Essen aus Eimern servierten.

Schulbildung an der Saipan Mittelschule

 Es gab eine Grundschule für jede der Gruppen im Lager. Die Saipan Mittelschule wurde durch die Zusammenlegung von Kindern aus den verschiedene Grundschulen gegründet. Der Unterricht wurde mit Schwerpunkt auf Englisch, von US-Soldaten, die Japanisch sprechen konnten ausgeführt. Da es nur eine Mittelschule im Gefangenenlager gab, waren die Schüler altersmäßig drei bis vier Jahre auseinander. Ich ging auch auf die Mittelschule und musste deshalb keinen Arbeitsdienst verrichten. Wir wurden nach US-Demokratischen Vorbild erzogen und es gab viele verschiedene Unterrichtsmethoden. Das Lernen selbst war nicht besonders schwer und ich lernte die amerikanische Demokratie kennen. Allerdings hatte ich die ganze Zeit über irgendwo tief in meinem Inneren immer noch das Gefühl, dass Japan den Krieg nicht verlieren konnte und würde.

Rückkehr nach Okinawa und das Leben nach dem Krieg

 Nach anderthalb Jahren im Internierungslager kehrte meine Familie nach Okinawa zurück. Anfang des Jahres 1946 bestiegen wir ein LST (Panzer Landungsschiff) der US-Armee und fuhren von Saipan nach Okinawa. Hunderte von Menschen waren in dem Schiff zusammengepfercht. Den ersten Tag nach der Ankunft verbrachten wir im Lager von Kubazaki in Nakagusuku. Danach zogen wir in einer Zelthütte die dem jüngeren Bruder meiner Mutter gehörte. Er überlies sie uns und wir zogen in die Kabaya genannte Hütte. Hier begann mein Leben in Okinwawa. Wir erhielten Reis und Mehl Rationen von der US-Armee und kochten uns davon unserer Mahlzeiten zuhause.

Wir bauen unsere Schule

 Später ging ich auf die Koza Highschool. Die Schule war zum Teil in einer großen Quonset Baracke (Wellblechbaracke) untergebracht, die früher eine US-Militärunterkunft gewesen war. Es gab auch noch Zelte, strohgedeckte Hütten und welche mit Blechdach. Die Hütten hatten wir alle selber gebaut. Wir machten alle Arbeiten selbst. Die Materialen sammelten wir oder bekamen sie geschenkt. Die große Quonset Baracke erhielten wir von der US-Armee im nahegelegen Awase. Die Schüler zerlegten die Baracke, trugen die Materialien den steilen Hang von Awase hinauf und bauten sie wieder auf. Wir gruben  ein Loch in die Erde, füllten es mit Beton, um die Grundlage für das Fundament zu schaffen. Darum häuften wir Erde an. Wir setzten die Baracke etwa eine Meter tief in den Boden. Damit stand die Quonset Baracke tiefer als die anderen Gebäude, war aber zugleich sturmfest. Nach dem Taifun Gloria, der 1949 zuschlug, war diese Baracke, die einzige die stehen geblieben war.
 Damals dauerte die Highschool vier Jahre, wurde aber auf dann auf das neue 6-3-3 System umgestellt. Ich war zu dieser Zeit in meinem zweiten Jahr. Ich dachte, nach dem neuen System kommen wir jetzt in die dritte Klasse und schliessen dann ab. Stattdessen musste ich noch einmal die zweite Klasse wiederholen. Die Schüler die zum zweiten Mal die zweite Klasse machten, nannten wir die „neuen Zweier“. Nach Ende der dritten Klasse schloss ich dann ab. Insgesamt war ich also vier Jahre auf der Highschool. Bei meinen Eintritt hieß die Schule noch „Koza High School“ bei meinen Abschluss hatte sich der Name in „Koza Koto Gakuen“ geändert.
Ageda wo ich wohnte, lag neben einem Fluß und war tiefer gelegen als die umgebenden Gebiet. Es waren überall Reisfelder. Nach dem Krieg wurden die Reisfelder aufgefüllt und eine Straße gebaut. An der Straße wurden Häuser errichtet und eine Stadt bildete sich. Bei starken Regenfällen wurde das Gebiet von Überschwemmungen verwüstet. Einmal gab es auf der Ostseite eine große Flut, die den Sportplatz der Adgeda Grundschule überschwemmte und die Tische und Stühle aus der Schule mit sich trug.
Die Koza High School hatte einen angegliederten Englischkurs und eine Lehrerakademie. Ich hatte nicht vor Lehrer zu werden, sondern dachte daran beim US-Militär zu arbeiten. Deshalb besuchte ich nach meinem Abschluss für ein halbes Jahr den Englischkurs. Durch Beziehung kam es dann dazu, dass ich als Englischlehrer angestellt wurde. Ich hatte aber noch nie Englisch an einer Grundschule unterrichtet, deshalb wurde ich mit dem Außendienst betraut. Ich ging zu verschiedenen Orten, um über den Schulbau und die Verwaltung der Schule zu verhandeln.

Meine Botschaft an die Jugend

 Ich habe große Erwartungen an die Jugend von heute. Ich denke, dass die junge Generation heute sehr proaktiv ist. Meine Generation hat gegen das US-Militär immer direkte Maßnahmen ergriffen, aber die jungen Leute von heute sind anders. Sie richten ihre Appelle zu den Problemen in Okinawa direkt an die Vereinten Nationen. Meine Generation hätte sich nicht einmal vorstellen können, so etwas zu tun. Die jungen Leute von heute habe ein viel höher Niveau. In diesem Sinne glaube ich, das die Uchinanchu (Okinawaner) unabhängig von der unglückliche Geschichte Okinawas eine starke Jugend groß gezogen haben.


 Später diente Herr Masao Arime viele Jahre als Berater für die Lehrergenossenschaft. Er half das Lehrumfeld zu verbessern und die Menschenrechte der Kinder zu beschützen. Er war ebenfalls in der Friedensbewegung aktiv und kämpfte für die Rückgabe des Bodens und das Ende der amerikanischen Okkupation.