Krieg und neuer AnfangFilmische Zeitzeugenberichte über den Krieg und die Zeit danach

Weit über das Meer, mein Leben nach dem Krieg

Herr Kinzo Sunagawa

Geburtsjahr:1928

Geburtsort:Miyako-jima

Überfahrt nach Taiwan von Miyako-jima während des Krieges

 Ich wurde im Jahr 1928 in der Nähe der Harimizu Bucht (Heute Hirara Bucht) auf der Insel Miyako-jima geboren. Wir waren sieben Geschwister, ich war das fünfte Kind und der dritte Sohn. Mein Vater war ein sogenannter „Bakuro“ ein Viehhändler. Damals ein eher seltener Beruf. Er kaufte Rinder und Schweine von den Bauern in Miyako-jima und verkaufte sie in Okinawa. Er fuhr viele Male zwischen Miyako-jima und Okinawa hin und her.
 Im März 1943 fuhr ich nach Keelung City in Taiwan, um eine Prüfung an der staatlichen Beamtenschule des Ministeriums für Kommunikation in Taipeh abzulegen, aber ich fiel durch.

Arbeit im Festungs-Hauptquartier

 Durch Vermittlung erhielt ich eine Arbeit im Festungs-Hauptquartier der japanischen Armee in Keelung. Ich wurde „Bote“ gerufen und überbrachte verschiedene Dokumente vom Hauptquartier in der Festung von Keelung, zu den einzelnen Einheiten. Das militärische Hauptquartier befand sich in Taipeh und manchmal mussten wir mit dem Fahrrad die Dokumente in bis zu 20 km entfernte Orte überbringen. Ich arbeitete und wohnte auch im Hauptquartier. Wir waren zwei Boten, wir hatten ein gemeinsames großes Arbeitszimmer, das wir auch zum Essen nutzten. Zum Schlafen hatten wir einen privaten Raum zur Verfügung. Wir hatten abwechselnd Telefondienst und ich schlief jeden zweiten Tag dort.
 Die Stadt Keelung war in einem Schachbrettmuster angelegt und war kein Vergleich mit dem Leben in Miyako-jima. Die zweiten Etagen der Gebäude waren bis über den Gehweg angelegt und man konnte bei Regen entlanglaufen, ohne nass zu werden. Ich habe diese Bauart sehr bewundert. Der große Luftangriff vom 10. Oktober 1944 traf auch Keelung.

Luftangriff auf Keelung

 Ich sah viele Flugzeuge heran fliegen und lief aufgeregt aufs Dach. Ich dachte zuerst, dass es sich um japanische Flugzeuge handelte. Doch dann hörten wir vom Hafen her die Explosionen. Wir sahen, dass es ein Luftangriff durch amerikanische Grumman Jagdflieger war und rannten in den Luftschutzbunker. Die Schiffe im Hafen erlitten großen Schaden, aber es gab so gut wie kein Schaden in den Gebieten, in dem die Zivilbevölkerung wohnte. Danach kamen die B-29 Bomber, sie liessen ihre Bomben ohne Unterschied fallen und Stadt wurde in Schutt und Asche gelegt.

Keelung nach dem Krieg

 Am 15. August 1945 hörte ich im Festungs-Hauptquartier die Übertragung der Ansprache zur bedingungslosen Kapitulation von Kaiser Hirohito. Ich freute mich darüber, dass der Krieg vorbei war. Die Schüler der örtlichen Mittelschule, wurden zum Appell gerufen, wo sie weinten und sich die Haare rauften. Die japanischen Soldaten waren jedoch eher gelassen.
 Nach Kriegsende warteten die Leute, die nach Miyako-jima heimkehren wollten in den Lagerhäusern des Hafen von Keelung. Die Lagerhäuser waren bombardiert worden und nur noch Ruinen ohne Dächer. Ich blieb dort, bis ich nach Miyako-jima zurück konnte. Damit es nicht zu Problemen kommt, wenn die Alliierten Truppen von China aus nach Keelung kamen, wurde uns Japanern gesagt, dass wir an einen etwas weiter entfernten Ort Unterschlupf suchen sollen. Wir entfernten uns aber nur für den Tag, an dem die Alliierten Truppen eintrafen und als sie durchgezogen waren, gingen wir wieder zum Hafengelände zurück.

Das Sakae-maru Unglück

 Unmittelbar nach Kriegsende charterten die Einwohner von Miyako-jima privat Schiffe, um zu ihrer Insel zurückzukehren. Damit ich mich um meinen Onkel kümmern konnte, erhielt ich auch eine Schiffspassage. Das Schiff war die „Sakae-maru“. Wir warteten bereits seit mehreren Tagen auf die Abfahrt, als mein Cousin, der als Chefingenieur auf einem anderen Schiff arbeite, zu mir meinte, ich solle nicht mit der Sakae-Maru fahren. Sie sei schon so gut wie ausgemustert und sollte nur eingesetzt werden, weil es nicht genug Schiffe gab, um alle Japaner nach Hause zu bringen. Es sei zu gefährlich und ich solle lieber nicht an Bord gehen. Ich erzählte das Gehörte meinem Onkel, dass er besser nicht mit dem Schiff fahren soll und er bestieg die Sakae Maru nicht. Ich hatte allerdings bereits mein Gepäck auf das Schiff gebracht und bestieg sie trotz der Warnung.
 Es kam, wie er sagte, in dem Moment wo sie den Hafen verlassen hatte, ging der Motor kaputt. Es war November und es wehte ein starker Nordwind, Die Maschine des Schiffes lief nicht und es wurde vom Wind davon getrieben. Nach Verlassen des Hafens ankerte das Schiff zunächst an der felsigen Küste, gegenüber vom Hafen. Ich befand mich auf dem Deck des Schiffes und wurde plötzlich von einer großen Welle erfasst, die mich über Bord warf. Danach wurde auch das Schiff gegen die Küste getrieben und kenterte. Ich erinnere mich nicht mehr an die genauen Zahlen, aber es überlebten nur etwa 30 Leute der 160 Passagiere. Unter den Überlebenden war auch ein kleiner Junge von fünf, sechs Jahren. Die Überlebenden, mich eingeschlossen hatten einfach nur Glück gehabt.
 Als wir in Richtung Land schwammen, kamen die einheimischen Bewohner mit Fackeln, um uns zu helfen. Sie trugen uns auf dem Rücken aufs sichere Festland. Was das für ein Gebäude war, weiß ich nicht mehr, aber wir verbrachten die Nacht in einer kleinen Hütte am Strand. Am nächsten Morgen baten die Leute, die uns geholfen hatten ihnen bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Die Jungen und Kräftigen wurden damit beauftragt, die Leichen zu bergen. Viele Körper waren an Land gespült worden. Die Gedärme hingen aus den Bäuchen heraus und bei einigen waren die Köpfe zertrümmert. Es war ein Anblick, vor dem man die Augen verschliessen wollte.
 Die Sakae Maru war nur ein kleines Schiff, von etwa 30 Tonnen. Auch ohne den Motorschaden hätte es auf dem Heimweg sicherlich Probleme gegeben. Es waren viel zu viele Leute an Bord und im Nachhinein betrachtet, war es ein sehr waghalsiges Abenteuer, auf das wir uns einlassen wollten. Merkwürdigerweise, kann ich mich kaum erinnern, was nach meiner Rettung geschah. Ich kann mich noch erinnern, wie ich Leichen geborgen habe, aber ich weiß nicht mehr, wie ich nach Miyako-jima zurückgekommen bin.

Heimkehr nach Miyako-jima, Als Matrose auf einem Schwarzmarktschiff

 Ich kehrte im Dezember 1945 nach Miyako-jima zurück. Ich ging im November an Bord der Sakae-Maru, also war es vermutlich im Dezember. Die Stadt wies noch Spuren der Luftangriffe auf und einige Orte waren bis auf die Grundmauern abgebrannt. Es gab einige US-Soldaten ihre Anzahl war aber nicht sehr groß. Sie waren in der Wetterstation einquartiert und ich habe dort ein halbes Jahr als Hausmeister gearbeitet. Dann begann ich zur See zu fahren.
 Es gab damals die „Tsukinbou“ Boote für die Harpunenjagd auf Speerfische. Es war eins von diesen Booten, auf denen ich zum ersten mal anheuerte. In Yonaguni besaß jemand zwei von diesen Booten und ich fuhr auf einem dieser Boote. Wir fuhren zwischen Yonaguni und Itoman in Okinawa hin und her und beteiligten uns am Schwarzmarkthandel. Von Yonaguni fuhren wir mit dem leeren Schiff nach Itoman, dort luden wir vor der Küste, auf dem offenen Meer, Fässer mit Schmieröl, Reifen oder Kleidung der amerikanischen Soldaten. Auf dem Rückweg fuhren wir via Kumejima zurück nach Yonaguni. Dort haben wir auch noch etwas zugeladen. Die Frau des Bootseigners war aus Sonai in Yonaguni, er selber stammte aus Tamara und beide lebten zusammen in Sonai. Er besaß in Yonaguni eine Fabrik für Katsuobushi, getrocknete Bonitoflakes und löschte regelmäßig Fracht im Hafen von Sonai. Der Wirtschaftsboom in Yonaguni, war noch nicht in vollem Gange. Während unserer Schwarzmarktgeschäfte spürten wir noch nichts von ihm. So viele Leute waren damals noch nicht im Schwarzmarkt involviert. Der Schwarzmarkt florierte erst einige Zeit später. Ich überquerte etwa fünfmal das Meer. Ungefähr ein halbes Jahr habe ich diese Tätigkeit ausgeübt. Zwischen den Überfahrten verbrachte ich die Zeit auf Yonaguni oder Miyakojima.
 Danach fuhr ich auf der Taihei-Maru, ein Schiff, dass einer Handelsfirma von Kaufleuten aus Miyakoj-ima gehörte. Ich heuerte auf dem Schiff an. Mit der Taihei-Maru luden wir Bau- und Brennholz auf den Yaeyama Inseln und brachten es nach Miyako-jima. Damals kam fast das gesamte Bau- und Brennholz von dort. Vor allem haben wir oft Brennholz im Norden von Ishigaki-jima in Hirakubo geladen. Nach einer Weile hat die Firma das Schiff verschrottet und ein neues, die Bussan-Maru bauen lassen. Ich konnte weiter auf der Bussan-Maru fahren. Mit diesem Schiff fuhren wir nach Okinawa, Amami-Oshima und bis nach Toshima-mura, in der Nähe von Yakoshima. Einmal fuhren wir auch zu den Pratas Inseln, zwischen Hongkong und Taiwan, um dort Seealgen, die wir in unserem Dialekt Nachuura nannten, abzuholen. Wir fuhren dabei an den Pratas Inseln vorbei bis in die Nähe der chinesischen Küste. Dabei wurden wir von einem ausländischen Patrouillenboot aufgegriffen und nach Macau gebracht. Das Schiff wurde beschlagnahmt und ich war für etwa sechs Monate in Macau, wir waren aber nicht in einem Gefängnis eingesperrt. Die Firma kaufte das Schiff bei einer Auktion zurück, es fehlten allerdings einige Teile der Maschinenanlage. Es dauerte ein halbes Jahr, um alles wieder zu besorgen.
 Die Bussan Maru war ein 30 Tonnen Schiff, das aus japanischem Zedernholz gefertigt war. Wir haben niemals Fracht in Miyako-jima geladen, aber da wir an Okinawa vorbeifuhren, nahmen wir in Miyako-jima Passagiere auf, die nach Okinawa wollten. Wir fuhren weiter bis nach Naze in Amami-Oshima und Toshima auf Kuchinoshima. Ich denke, es gab damals auch Polizei, aber sie hat nicht wirklich in den Schwarzhandel eingegriffen. Obwohl dort die Staatsgrenze verlief konnten wir frei nach Kuchinoshima oder Nakanoshima fahren. Wir luden Holz, Reis und Mandarinen und auf dem Rückweg stoppten wir in Okinawa. Gab es Passagiere nach Miyako-jima, nahmen wir sie an Bord. Ich habe auch Bau- und Brennholz aus Ishigaki-jima mit der Bussan-Maru transportiert.

Arbeit in Okinawa in einem Kraftwerk

 Es muss so ungefähr 1949 gewesen sein, als ich von der Bussan Maru abheuerte und nach Okinawa ging. Ein Bekannter aus Miyako-jima baute ein Kraftwerk in Makiko, Urasoe. Er bat mich hinzukommen und ich fing an dort zu arbeiten. Wir mussten Dutzende von Tonnen an Turbinen, Kesseln und anderen schweren Maschinen mit einem US-Landungsboot vom Hafen Naha nach Maki-minato transportieren, da es damals noch unmöglich war, sie mit dem Auto zu transportieren. Es gab einen Sandstrand, direkt neben der Baustelle und das Landungsboot fuhr so weit es ging ans Ufer. Wir trugen zu zweit große Holzbalken so nah wie möglich an das Landungsboot heran und setzten die Turbinen und andere schwere Maschine darauf. Unsere Arbeit bestand dann darin, sie bis in die Kraftwerksbaustelle hineinzuziehen. Das war wirklich Schwerstarbeit.
 Nachdem die schweren Maschinen an ihrem Platz waren, mussten die Geräte und Rohre miteinander verbunden werden. Fachleute kamen aus Japan und führten diese Arbeiten mit Hilfe der Planskizzen aus. Wir halfen ihn dabei. Auf diese Weise arbeitete ich bei der Errichtung des Kraftwerks mit und konnte dabei eine Menge Erfahrungen sammeln, im Umgang mit Maschinen und ihrer Funktionsweise. Als das Kraftwerk fertiggestellt war, bat man uns, mangels erfahrener Kraftwerksarbeiter, vor der Inbetriebnahme einen Probelauf zu machen. Der Probelauf war erfolgreich und ich erhielt eine Festanstellung bei Toshiba, dem Kraftwerksbetreiber. Ich denke, ich habe da wirklich Glück gehabt. Wir hatten keine Ahnung von Elektrizität oder Kraftwerken, aber wir betrieben das Kraftwerk von Maki-minato.
 Nachdem das Kraftwerk in Betrieb gegangen war, wurde eine amerikanische Firma namens Gilbert, von der US-Armee mit der Verwaltung beauftragt. Ich wechselte von Toshiba, die das Kraftwerk gebaut hatten zu Gilbert Später wurde es in die Ryukyu Elektro-Werke umgewandelt. und ich wechselte ebenfalls dorthin. Ab April 1953 wurden in Maki-minato vier Generatoren mit einer Leistung von jeweils 15.000 Watt aufgestellt. Aber durch die steigende Nachfrage reichte das bald nicht mehr aus. Aus Amerika kam ein Generatorflugzeug namens Jacona und lieferte 1955 zusätzlich Strom, vom Hamby Flugfeld in Chatan. Mein Arbeitsplatz wechselte von Maki-minato zur Jacona. Die Arbeit dort war sehr schwierig gewesen.

Meine Botschaft an die jungen Leute

 Jung zu sein bedeutet, das man unbegrenzte Möglichkeiten hat. Wenn sie sich für einen Job entschieden haben, widmen sie sich ihm in aller Gründlichkeit. Als ich im Kraftwerk anfing, war ich von meiner Arbeit besessen. Ich habe nur die Grundschule besucht, und wusste nichts von Physik oder Chemie. Im Kraftwerk waren das aber die beiden wichtigsten Vorraussetzungen. Ich kaufte Bücher in Naha und studierte die beiden Fächer selbst. Es ist wichtig für seinen Beruf eine Leidenschaft zu besitzen. Seien sie bei ihrer ausgewählten Arbeit so gründlich und leidenschaftlich wie es möglich ist.


 Herr Kinzo Sunagawa ist ein Flüchtling aus Taiwan und Überlebender des Unglücks auf der Sakae-Maru. Er entkam nur knapp dem Tode und selbst in der chaotischen Situation nach dem Krieg erwarb er durch seinen Fleiß und harte Arbeit Kenntnisse über Elektrizität und Kraftwerke und trug zum Wiederaufbau nach dem Krieg bei.